Wenn Sie eine Immobilie an Ihre Kinder oder Enkel übergeben wollen, aber gleichzeitig weiterhin darin wohnen oder sie vermieten möchten, ist der Nießbrauch eine der effizientesten Lösungen in Deutschland. Viele Familien nutzen ihn, um Steuern zu sparen - und das oft ohne zu wissen, wie genau er funktioniert. Dabei geht es nicht nur ums Recht, sondern um echtes Geld: Wer den Nießbrauch richtig einsetzt, kann bis zu 76.000 Euro an Steuern sparen - bei einer Immobilie im Wert von 600.000 Euro. Aber es gibt auch Fallstricke. Falsch berechnet, kann der Nießbrauch teurer werden als eine normale Übertragung. Hier erfahren Sie, wie es wirklich funktioniert - mit Zahlen, Praxisbeispielen und den wichtigsten Warnhinweisen.
Was ist ein Nießbrauchrecht?
Ein Nießbrauchrecht ist kein Mietverhältnis. Es ist ein dingliches Recht, das im Grundbuch eingetragen wird. Wer es hat, darf die Immobilie nutzen - und zwar so, als wäre er der Eigentümer: wohnen, vermieten, verpachten, sogar den Garten bepflanzen oder eine Garage umbauen. Der eigentliche Eigentümer bleibt zwar der Rechtsinhaber, verliert aber die Nutzung. Das ist der Kern: Eigentum bleibt, Nutzung geht weg. Dieses Recht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) in den §§ 1030-1041 geregelt und wurde 1900 eingeführt. Heute ist es ein zentrales Instrument in der Familienvermögensnachfolge.Warum ist das wichtig? Weil die Steuerlast bei einer Schenkung oder Erbschaft vom Wert der übertragenen Sache abhängt. Wenn Sie Ihre Wohnung an Ihre Tochter schenken, aber sich selbst ein Nießbrauchrecht vorbehalten, dann wird die Immobilie nicht mit ihrem vollen Marktwert besteuert. Stattdessen wird der Wert des Nießbrauchs abgezogen. Und dieser Wert ist oft ein Drittel bis die Hälfte des Gesamtwerts. Das macht den Unterschied zwischen einer steuerpflichtigen Schenkung und einer steuerfreien.
Wie wird der Wert des Nießbrauchs berechnet?
Die Berechnung ist kompliziert - aber nicht unmöglich. Sie basiert auf zwei Faktoren: dem Jahreswert und dem Kapitalwert-Faktor.Der Jahreswert ist der Wert, den die Immobilie jährlich abwirft. Wenn Sie sie vermieten, ist das die tatsächliche Miete. Wenn Sie selbst wohnen, wird ein fiktiver Wert angenommen - die sogenannte Vergleichsmiete für eine ähnliche Wohnung in Ihrer Gegend. Aber es gibt eine Obergrenze: Der Jahreswert darf nicht höher sein als der Verkehrswert der Immobilie geteilt durch 18,6. Das bedeutet: Eine Wohnung im Wert von 500.000 Euro kann maximal einen Jahreswert von 26.881 Euro haben (500.000 / 18,6).
Der Kapitalwert-Faktor ist der entscheidende Hebel. Er wird vom Bundesministerium der Finanzen jährlich veröffentlicht und berücksichtigt die Lebenserwartung des Nießbrauchers. Je älter der Nießbraucher, desto niedriger der Faktor - weil er weniger Jahre nutzen wird. Für einen 70-jährigen Mann liegt der Faktor 2024 bei 11,2, für eine Frau bei 12,8. Warum der Unterschied? Weil Frauen statistisch länger leben. Ein 75-jähriger Mann bekommt einen Faktor von 9,1, ein 80-Jähriger nur noch 6,9.
Die Formel ist einfach: Kapitalwert des Nießbrauchs = Jahreswert × Kapitalwert-Faktor.
Beispiel: Sie schenken eine Wohnung im Wert von 600.000 Euro an Ihre Tochter, behalten aber den Nießbrauch als 75-jähriger Mann. Die fiktive Jahresmiete beträgt 20.000 Euro (unter der Obergrenze von 32.258 Euro). Der Faktor für 75-Jährige: 9,1. Der Nießbrauchswert: 20.000 × 9,1 = 182.000 Euro. Der steuerliche Wert der Schenkung: 600.000 - 182.000 = 418.000 Euro. Mit dem Freibetrag von 500.000 Euro für Kinder (gültig seit 2024) ist die Schenkung steuerfrei. Ohne Nießbrauch: 600.000 Euro - das wäre eine Steuerlast von 118.500 Euro. Mit Nießbrauch: 0 Euro. Das ist keine Theorie - das ist Standard in der Praxis.
Bruttonießbrauch vs. Nettovießbrauch: Was ist der Unterschied?
Hier liegt eine der häufigsten Fehlerquellen. Es gibt zwei Arten von Nießbrauch: Brutto und Netto.Beim Bruttonießbrauch trägt der Eigentümer alle Kosten: Grundsteuer, Versicherung, Reparaturen, Schornsteinfeger. Der Nießbraucher zahlt nichts - er nutzt nur. Das ist einfacher, aber teurer für den Eigentümer. Und er darf keine Abschreibungen vornehmen - denn er trägt die Kosten, aber hat keine Einkünfte. Das Finanzamt erkennt das nicht als Werbungskosten an.
Beim Nettovießbrauch trägt der Nießbraucher alle Kosten. Er zahlt die Grundsteuer, die Versicherung, die Heizung, die Reparaturen. Dafür darf er diese Ausgaben als Werbungskosten von seiner Miete absetzen - wenn er die Immobilie vermietet. Das ist für beide Seiten vorteilhaft: Der Eigentümer hat keine laufenden Kosten, der Nießbraucher reduziert seine Einkommensteuer. Laut einem BMF-Schreiben vom 15.03.2023 sind alle genannten Kosten abziehbar, solange sie direkt mit der Nutzung der Immobilie zusammenhängen.
Wichtig: Der Vertrag muss eindeutig festlegen, welcher Typ vereinbart ist. Keine Halbwahrheiten. Wenn Sie später behaupten, es sei ein Nettovießbrauch gewesen, aber in der Praxis haben Sie die Kosten getragen, dann kann das Finanzamt die ganze Berechnung aufheben - und Nachzahlungen mit Zinsen verlangen.
Warum ist der Nießbrauch besser als ein Wohnrecht?
Viele denken: Warum nicht einfach ein Wohnrecht eintragen? Das ist einfacher, oder?Nein. Ein Wohnrecht (§ 1093 BGB) erlaubt nur, in der Wohnung zu wohnen. Nicht mehr. Keine Vermietung. Keine Mieteinnahmen. Keine Nutzung als Kapitalanlage. Der Wert des Wohnrechts wird nach einer anderen, strengeren Formel berechnet - und ist oft höher als der Wert des Nießbrauchs. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Immobilienwirtschaft (DGW) aus 2023 zeigt: Wer ein Wohnrecht statt Nießbrauch wählt, zahlt in 68% der Fälle mehr Steuern. Warum? Weil das Finanzamt den Wohnrechtswert nicht so stark reduziert wie den Nießbrauchswert. Bei einer 500.000-Euro-Wohnung kann das bedeuten: 150.000 Euro mehr steuerlicher Wert - und damit eine Steuerlast von 30.000 Euro statt 0.
Und: Ein Wohnrecht kann nicht vermietet werden. Wer seine Kinder nicht finanziell unterstützen will, sondern sie mit Mieteinnahmen versorgen möchte, kommt mit einem Wohnrecht nicht weiter. Der Nießbrauch ist die einzige Option, die Flexibilität und Steuervorteile vereint.
Die Nachteile: Warum viele später bereuen
Der Nießbrauch ist kein Allheilmittel. Er hat drei große Nachteile - und die unterschätzen fast alle.1. Verkauf ist fast unmöglich. Immobilien mit Nießbrauchrecht erzielen im Durchschnitt 12-18% weniger als unbelastete Objekte. Das sagt der Immobilienverband IVD (2024). Warum? Käufer wollen keine fremde Person im Haus, die noch 15 Jahre wohnen oder vermieten darf. Die meisten Banken verweigern die Finanzierung. Die Sparkasse München hat intern ermittelt: Nur 37% der Institute bieten volle Kredite für solche Immobilien an. 63% verlangen mindestens 40% Eigenkapital - oder lehnen ab.
2. Die Berechnung ist fehleranfällig. Dr. Sabine Weber vom Bundesverband deutscher Steuerberater sagt: „In 30% der Fälle führt eine falsche Berechnung zu Nachforderungen.“ Der Kapitalwert-Faktor wird jedes Jahr neu veröffentlicht. Wer den alten Wert aus dem Jahr 2023 nimmt, obwohl 2024 schon gültig ist, macht einen Fehler. Wer die Lebenserwartung falsch annimmt - oder die Obergrenze ignoriert - spielt mit Feuer. Das Finanzamt kann die Schenkung bis zu 10 Jahre nachträglich überprüfen - und mit Zinsen bis zu 6% pro Jahr belegen.
3. Ablöse ist eine Schenkung. Ein häufiger Fehler: Der Nießbraucher sagt: „Ich verzichte auf meinen Nießbrauch - du zahlst mir 200.000 Euro.“ Das klingt fair. Aber das Finanzamt sieht das als Schenkung - und nicht als Verkauf. Denn der Nießbrauch ist ein Recht, kein Vermögensgegenstand. Wer ihn „abkauft“, schenkt dem anderen den Wert. Das hat schon viele Familien in steuerliche Schwierigkeiten gebracht. Ein Fall auf Reddit: Ein Vater verzichtete auf seinen Nießbrauch - und bekam 287.000 Euro. Das Finanzamt rechnete das als Schenkung - und verlangte 58.300 Euro Erbschaftsteuer plus 12% Zinsen für drei Jahre.
Was muss im Vertrag stehen?
Ein Nießbrauchvertrag ist kein Standardformular. Er muss präzise sein. Ein Notar sollte ihn aufsetzen - und zwar mit diesen Elementen:- Name, Geburtsdatum und Anschrift des Eigentümers und des Nießbrauchers
- Genauere Beschreibung der Immobilie (Adresse, Grundbuchblatt, Flurstück)
- Klare Festlegung: Brutto- oder Nettovießbrauch?
- Wie wird der Jahreswert ermittelt? (Miete oder fiktive Miete?)
- Dauer: Lebzeit des Nießbrauchers? Oder feste Laufzeit? (Lebzeit ist üblich)
- Kostenverteilung: Wer zahlt was? (Grundsteuer, Versicherung, Reparaturen)
- Recht auf Kündigung? (Normalerweise: Nein. Nur bei Tod des Nießbrauchers.)
Die Eintragung ins Grundbuch kostet 200 Euro plus 0,5% des Grundbuchwerts. Bei einer 500.000-Euro-Immobilie: 2.700 Euro. Das ist teuer - aber im Vergleich zu den Steuereinsparungen ein kleiner Preis.
Praxis-Tipps: Was wirklich hilft
- Verwenden Sie immer die aktuelle Tabelle des Bundesfinanzministeriums. Sie erscheint jedes Jahr im Januar. Nicht auf Google suchen. Nicht aus dem letzten Jahr nehmen. Auf der Website des BMF steht sie offiziell.
- Consultieren Sie einen Steuerberater - nicht nur einen Notar. Der Notar macht den Vertrag rechtlich richtig. Der Steuerberater prüft, ob die Berechnung steuerlich hält. Das ist kein Luxus - das ist Pflicht.
- Reden Sie mit dem Finanzamt vorab. Ein Vorabbescheid (§ 89 AO) kostet 200-500 Euro - aber verhindert Nachforderungen später. Viele machen das nicht - und bereuen es.
- Denken Sie an die Zukunft. Was passiert, wenn der Nießbraucher in ein Pflegeheim zieht? Kann er den Nießbrauch verkaufen? Nein. Aber er kann ihn an die Kinder übertragen - vorausgesetzt, der Vertrag erlaubt das. Das sollte im Vertrag stehen.
- Keine „Freundschaftsregelungen“. Keine mündlichen Absprachen. Keine „Ich helfe dir mal“-Gespräche. Alles schriftlich. Alles im Vertrag. Alles im Grundbuch.
Die Zukunft: Was sich ändern wird
Seit Juli 2024 können Sie online im Grundbuchinformationssystem (GBIS) prüfen, ob ein Nießbrauchrecht eingetragen ist. Das erhöht die Transparenz - aber auch die Kontrolle.2025 plant das Bundesfinanzministerium eine Reform: Die Kapitalwert-Faktoren für über 70-Jährige werden um 8-12% erhöht. Warum? Weil die Lebenserwartung in Deutschland steigt. Das bedeutet: Der Nießbrauch wird noch wertvoller - und die Steuereinsparung noch größer. Aber: Wer jetzt einen Vertrag abschließt, muss mit der alten Tabelle rechnen. Die neue kommt erst 2025.
Experten wie Prof. Dr. Markus Keller von der Frankfurt School of Finance sagen: „Der Nießbrauch ist fest in der deutschen Vermögensnachfolge verankert.“ Er wird nicht abgeschafft. Aber er wird strenger kontrolliert. Wer ihn jetzt nutzt, muss wissen, wie er funktioniert - und was die Risiken sind.
Die Zahl der Übertragungen mit Nießbrauch ist von 18.500 im Jahr 2019 auf 27.800 im Jahr 2023 gestiegen - ein Anstieg von 50%. Für 2025 wird ein Wert von über 35.000 erwartet. Das ist kein Trend - das ist eine neue Realität. Wer Immobilien vererben will, muss sich damit auseinandersetzen.
Frequently Asked Questions
Kann ich den Nießbrauch jederzeit aufheben?
Nein. Ein Nießbrauchrecht ist lebenslang und kann nur durch Tod des Nießbrauchers enden - oder durch schriftliche Einigung aller Beteiligten. Selbst wenn Sie das Geld haben, um den Nießbrauch abzulösen, müssen Sie den Eigentümer dazu zwingen. Das Finanzamt betrachtet eine Ablösesumme als Schenkung - und nicht als Kauf. Es gibt keine einfache Kündigung.
Bekomme ich als Nießbraucher eine Mietsteuererstattung?
Nein. Mietsteuererstattungen gibt es in Deutschland nicht. Aber als Nettovießbraucher können Sie alle Kosten - Grundsteuer, Versicherung, Reparaturen - als Werbungskosten von Ihren Mieteinnahmen abziehen. Das senkt Ihre Einkommensteuer. Das ist der wirkliche Vorteil - nicht eine Rückerstattung.
Ist der Nießbrauch auch für Ehepartner möglich?
Ja. Ehepartner haben einen Freibetrag von 500.000 Euro - genauso wie Kinder. Der Nießbrauch funktioniert also genauso. Oft wird er genutzt, wenn ein Ehepartner stirbt und der andere weiterleben soll. Der Verstorbene schenkt die Immobilie an die Kinder, behält aber den Nießbrauch - und der überlebende Ehepartner wohnt weiterhin dort. Das ist eine der häufigsten Anwendungen.
Was passiert, wenn der Nießbraucher vorzeitig stirbt?
Der Nießbrauch erlischt mit dem Tod. Das Eigentum wird vollständig auf den neuen Eigentümer übertragen. Der steuerliche Wert der Schenkung wird nicht nachträglich erhöht - denn die Berechnung basierte auf der Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Übertragung. Das Finanzamt kann nicht nachträglich mehr Steuer verlangen, nur weil der Nießbraucher früher stirbt.
Kann ich den Nießbrauch auf meine Kinder übertragen?
Nur, wenn der Vertrag das explizit erlaubt. Normalerweise ist der Nießbrauch persönlich an den Empfänger gebunden. Wenn Sie ihn aber in der Vertragsklausel als „übertragbar“ festlegen, können Sie ihn an Ihre Kinder vererben - oder ihnen schenken. Das ist eine wichtige Planungsmöglichkeit, die viele übersehen.

Kommentare (1)
kirsti wettre brønner
Dezember 1, 2025 AT 12:58Ich hab das mit dem Nießbrauch letztes Jahr für meine Eltern gemacht – total erleichternd! Sie wohnen weiterhin da, und ich hab die Immobilie sicher, ohne dass sie plötzlich alles verlieren. Hat echt viel Stress erspart.